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(20.08.2006)          

Auf der Bühne des Windes

Die marokkanische Hafenstadt Essaouira ist ein funkelndes Juwel. Ein Ort für Ästheten, zu zugig für den Strand

Von Hans Eckart Rübesamen
 
Dreimal mindestens müssen wir in der Nacht aus den Federn. Das Fenster oder die Tür muss gesichert werden. Der Sturm rüttelt so kräftig, dass an Schlaf nicht zu denken ist. Schließlich springt das Fenster mit einem Knall ganz auf, und der heulende Wind reißt uns fast die Bettdecken vom Leib. Ob es die „Suite vue de Mer“ wert ist, die nächtlichen Unbilden in Kauf zu nehmen? Sie ist es, keine Frage. Der Blick auf das im silbernen Mondlicht taghell schimmernde Meer, das mit gewaltigen, schaumgekrönten Wogen gegen die Klippen vor der Küste stürmt – ein Schauspiel wie dieses bekommt man selten geboten. Und eine Suite wie diese auch: unmittelbar über der Stadtmauer von Essaouira an der marokkanischen Atlantikküste.

Ein gnädiger Wettergott stellt morgens vorübergehend die Windmaschine ab. Frühstück also, wenn auch leicht übernächtigt, auf der Dachterrasse. Eine einzigartige Schaubühne über dem immer noch gewaltig bewegten Atlantik. Und nur wenige Meter entfernt die Mauern der Befestigungsanlagen von Essaouira, die mit bronzenen Kanonen gespickte „Skala de la Kasbah“.

Seit Jahrtausenden ist Essaouira ein bedeutender Ort an der Küste Westafrikas gewesen. Seine Wurzeln reichen weit in die phönizische Zeit zurück. Hundert Jahre vor Christus etwa legte der Nubierkönig Juba auf den Inseln vor der Küste Purpurmanufakturen an, wo der kostbare, aus der Purpurschnecke gewonnene rote Farbstoff gewonnen und nach Rom exportiert wurde. Später wurden im Hafen Essaouira Elfenbein, Gold, Sklaven und andere Kostbarkeiten aus Schwarzafrika nach Europa und Amerika verschifft.

Die Portugiesen errichteten hier zur Sicherung ihres Seeweges nach Indien ein Fort; die Stadt, wie sie heute noch – weitgehend unverändert besteht – ist unter dem Namen Mogador um die Mitte des 18. Jahrhunderts angelegt worden und hat sich zum bedeutendsten Hafen Marokkos entwickelt. Bis Frankreich den Karawanenweg durch die Sahara von Timbuktu her einstellte. So mutierte der Handelsplatz Essaouira zum Fischereihafen, Badeort und schließlich zur wohl sehenswertesten Stadt Marokkos.

„Maison des Artistes“ über der Stadtmauer ist voller Kunstwerke: An den Wänden hängen großformatige Ölgemälde, auf Tischen, Konsolen und Etageren lungern Katzentiere aus Granit oder Thujenholz, in jeder Ecke ist ein originell geformtes Stück Kunst oder Kunsthandwerk zu entdecken. In dem 250 Jahre alten Haus hat George aus Paris, früher Modedesigner, die obere Etage in ein winziges Hotel umgewandelt: Sechs Zimmer und Mini-Suiten gruppieren sich um einen verglasten Patio, mit erlesenem Geschmack zwar, jedoch etwas wackeligem Komfort eingerichtet. Doch daran nimmt hier niemand Anstoß. Die ganze Stadt steckt voller Menschen, die das Besondere und Individuelle suchen.

Wie vor einem halben Jahrhundert Positano oder Mykonos, später vielleicht auch noch Ibiza, hat sich Essaouira auf geheimnisvolle Weise in einen Ort verwandelt, der eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf Künstler, Kunstsinnige und natürlich allerlei „Möchtegerns“ ausübt. Manche haben sich für immer hier angesiedelt, andere bleiben ein Vierteljahr oder nur ein paar Wochen.

Alle miteinander blicken, wenn überhaupt, mitleidig auf die Touristen, die für einen Tag von ihren Faulenzerstränden im 170 Kilometer entfernten Agadir weggelockt und mit Bussen hierher gekarrt werden. Gruppenweise schleppen die sich, manche (un)ziemlich entblößt, hinter einem Führer durch die Gassen der Medina, verstopfen einzelne Souvenirläden, deren Besitzer besonders fette Provisionen zahlen, und stören das stilreine Bild der größtenteils unverändert gebliebenen Altstadt, die vor rund 250 Jahren nach einheitlichem Plan erbaut worden ist. Zu sich selbst und seiner strengen Schönheit findet Essaouira erst wieder, wenn diese Menschen am Nachmittag in Richtung Agadir verschwinden.

Unsere Sichtweise, wie man sieht, ist auch schon recht elitär geworden. Das scheint hier unvermeidlich zu sein. Essaouira ist eben kein Großbadeort wie Agadir, obwohl es im Süden der Stadt schöne Strände und internationale Kettenhotels gibt. Doch das Badevergnügen ist nicht ungetrübt. Der Wind bläst fast immer stark und kalt von den Kanaren her, den Windsurfern zur Freude, die allerdings fest auf ihren Brettern stehen müssen; für Anfänger ist der Seegang von Essaouira nichts. Die wahren Surfbrettartisten aber flippen vor Begeisterung aus und treffen sich alljährlich im Juni zum „Kite Surf Worldcup“, einem Wettbewerb für die Spezialisten, die sich von Gleitschirmen übers Wasser ziehen lassen.

So wild der Westwind auch über die Essaouira-Küsten hinwegfegt, in die engen Gassen der Altstadt dringt er kaum. Die Medina vermittelt Geborgenheit, vor den rauen Winden ebenso wie vor der an manchen Tagen brütenden Sonnenglut. Die Häuser sind weiß gekalkt, Fenster und Türen blau gestrichen, die Torbögen gern auch gelb. Manches Tor führt in die Finsternis, ins ganz und gar Ungewisse, als bewegten wir uns im Film „Himmel über der Wüste“, und mündet doch nur in die Ladenhöhle eines Gold- und Silberschmieds.

Das Kunsthandwerk wird in Essaouira sehr gepflegt. Hier und dort wird natürlich auch Souvenirkitsch angeboten. Doch die Fülle kunstvoll verarbeiteter Gebrauchsgegenstände ist überwältigend. Ganz hingerissen sind wir von den blank polierten Kästen und Schalen und erlesenen Intarsienarbeiten aus hartem Thujen-Holz, bei deren Anfertigung wir den Kunstschreinern – an die 150 gibt es in Essaouira – zusehen können. Auch an fein ziseliertem Silberschmuck nach Berberart, Bucheinbänden und Lampenschirmen aus Kamelhaut, Baumwollstoffen und Teppichen ist das Angebot kaum geringer als in den viel größeren Souks von Fez und Marrakesch. Anders als dort aber werden wir kaum belästigt. Ihr Selbstbewusstsein verbietet den Produzenten so schöner Dinge, sich aufzudrängen. Doch wenn wir sie nach ihrer Arbeit fragen, geben sie gern Auskunft.

Warum sich gerade in Essaouira hohe Qualität so einzigartig verdichtet hat? Sicher hat es damit zu tun, dass Muslime, Christen und Juden – bis vor wenigen Jahrzehnten hatte die Stadt ein belebtes, intaktes Judenviertel – seit Jahrhunderten in großer Toleranz miteinander leben. Lange Zeit ist der Islam ja die toleranteste unter den monotheistischen Religionen gewesen; mit den Hasspredigten der Fundamentalisten konfrontiert, vergessen wir das leicht. Auch in Essaouira mit seinen zahlreichen Moscheen, zwei Kirchen und zwei Synagogen könnte das Vorbild zu Lessings „Nathan der Weise“ gelebt haben, der uns in seiner „Ringparabel“ beweist, dass die drei Weltreligionen gleicher Herkunft und ebenbürtig sind. Nicht zu vergessen die als Plantagenarbeiter in den arabischen Norden verschleppten Schwarzafrikaner, die ihre Rituale und ihre rhythmisch-monotone Musik mitgebracht haben. Man kann ihre Gnaoua-Gesänge heute noch hören, für den Kommerz populär geglättet allerdings; in Trance versetzen sie wohl niemanden mehr. Jedenfalls: Wer „Multikulti“ für einen verhängnisvollen Mischmasch der Kulturen hält, den sollte man nach Essaouira schicken.

So begegnen uns in den Gassen der Medina oder auf dem Gemüse- und Fleischmarkt in der Avenue Zerktouni streng verschleierte Frauen im weißen Haik. Aber auch junge Mädchen, die Kopftücher und eng gewickelte Röcke effektvoll für kleine erotische Spielchen nutzen, ohne formal gegen den islamischen Dresscode zu verstoßen.

Handfest geht es im Fischereihafen zu. „Rush hour“ ist morgens, wenn die aufgehende Sonne das Meer und die einlaufenden Boote in ihr brillantes Licht taucht. Abgesandte der Strandhotels und Restaurants verladen die lautstark erhandelte, silbern blitzende Ware auf ihre Karren, die Hausfrauen warten geduldig, bis die Großabnehmer abgezogen sind. Sie haben sich viel zu erzählen. Die Möwen streiten kreischend um die Abfälle, es duftet nach Salzwasser, Meertang und Teer. In der Werft am Rande des Hafenbeckens schneiden und sägen, hobeln, schleifen und streichen schwarze Werftarbeiter an den hoch und trocken liegenden Fischerbooten herum.

Wir kneifen die Augen ein wenig zu und fühlen uns tief in die Vergangenheit zurückversetzt. Um 200 Jahre mindestens. Doch zwischen Stadt und Hafen drapieren schon die Fischbrater ihre Stände mit Meeresgetier aller Art. Wir können nicht widerstehen. Dabei hat der Wind neue Kräfte gesammelt und bläst uns fast davon. Samt unseren appetitlich arrangierten Sardinen- und Langustentellern.
 

Quelle: www.Tagesspiegel.de --> Link